Entgegnung auf die Rezension von Friedrich W. Hehl über das Buch von Daniela Wuensch „Dimensionen des Universums“, erschienen in Phys. Unserer Zeit 2011, 42(1), 48.“
Dass Autoren unglücklich über Rezensionen sind, ist keine Seltenheit. Über die Rezension von Herrn Hehl über mein Buch „Dimensionen des Universums. Die Geschichte der höherdimensionalen vereinheitlichten Theorien von der Antike bis zur modernen Physik” konnte auch ich – trotz einiger auch zutreffender Zeilen – nicht erfreut sein. In dieser Entgegnung möchte ich einige falsche Behauptungen richtig stellen.
1. Herr Hehl behauptet „Der am umfassendsten belegte historische Hauptteil rankt sich dabei um die beiden Mathematiker David Hilbert (Göttingen) und Theodor Kaluza (Königsberg).” Kaluza spielt in der Tat eine tragende Rolle in dem Buch, aber Hilbert? Das Unterkapitel über Hilbert erstreckt sich über eineinhalb Seiten (S. 254f.) – eines der kürzesten überhaupt. Dass das Buch ausführliche Kapitel über Hermann Minkowski beruhend auf komplett neu erschlossenen Quellen aus dem Göttinger Archiv (17 Seiten), über Gunnar Nordström (11 Seiten), über Felix Klein (6 Seiten), über Carl Friedrich Gauß (9 Seiten), über Bernhard Riemann (8 Seiten), über Gustav Fechner – den Initiator der Idee des vierdimensionalen Raumes – (11 Seiten), über Hinton und Abbott (14 Seiten) etc. pp. enthält, ist Herrn Hehl offenbar entgangen.
2. Herr Hehl behauptet: „Die spätere Entwicklung bis hin zu den Superstringund M-Theorien entnimmt sie – nicht immer ganz stimmig – aus Sekundär und Tertiärliteratur.” Sind die Artikel von Edward Witten (1981) „Search for a realistic Kaluza-Klein Theory” (daraus zitiere ich auf S. 325) und von Abdus Salam (1980) „Gauge Unification of Fundamental Forces” (zitiert auf S. 326), Witten (1997), „Duality, Spacetime and Quantum Mechanics” (ebd.), Lisa Randall und Raman Sundrum (1999a) „A large Mass Hierarchy from a Small Extra Dimension” und (1999b) „An Alternative Compactification” (zitiert S. 337) „Sekundärliteratur”? Dies ist nur ein Teil der Primärliteratur, die ich zitiere. P. Zee, M. Kaku, Brian Green und Lisa Randall sind alle Physiker, die sich an der Entwicklung der vereinheitlichten Theorien beteiligt haben. In ihren populären Büchern berichten sie sowohl über ihre Beiträge als auch über die physikalische Leistung ihrer berühmten Kollegen. Auch solche Bücher sind wichtige Quellen für einen Historiker, auch wenn Herr Hehl nicht bereit ist, sie ernst zu nehmen.
3. Herr Hehl behauptet: „Es sei hierbei angemerkt, dass Frau Wünsch einige Kollegen scharf angreift.” Wissenschaft beruht auf Kritik – Herr Hehl gibt mit seiner Rezension ein schönes Beispiel dafür, dass er hier ganz meiner Ansicht ist. Im Übrigen gibt es auch Werke von „Kollegen”, die ich in meinem Buch lobe, wie das hervorragende Werk von Boris Rosenfeld, die Studien von Jeremy Gray oder von Vladimir Vizgin. Dass ich nach Herrn Hehls Ansicht andere hätte loben und andere hätte kritisieren sollen, bleibt so lange unwissenschaftlich, bis er – anders als ich – keine Gründe dafür nennt.
4. Herr Hehl behauptet: „Es stellte sich bald heraus, dass beide Modelle [von Hilbert und Kaluza] von der Physik her gesehen falsch sind, was leider in diesem Buch nicht explizit angesprochen wird.”
a) Auf den Seiten 305–306 erkläre ich: Kaluzas Theorie geriet schnell in Vergessenheit, da man inzwischen zwei weitere Wechselwirkungen entdeckte. Zitat (S. 306): „Die Physiker waren nun überzeugt von der Existenz zweier weiterer Wechselwirkungen: der starken und der schwachen Wechselwirkung. Aus diesem Grund wurden die vereinheitlichten Theorien der Gravitation und des Elekromagnetismus (d.h. die Kaluzasche, Hilbertsche, Einsteinschen usw.) als unvollständig betrachtet.”
b) Auf S. 324 erwähne ich erneut, dass nun vier Wechselwirkungen zu vereinheitlichen seien und man daher einen elfdimensionalen Raum einführt.
c) Auf S. 336–338 und auf S. 384 erkläre ich ausdrücklich, dass Kaluzas Theorie ein Modell der Vereinheitlichung der modernen Physik geliefert hat, und zwar das erfolgreichste Modell, und erkläre auch warum.
d) Karl Popper hat uns beigebracht, dass physikalische Theorien bestenfalls falsifiziert werden können und gute Theorien diejenigen sind, die ein Kriterium der Falsifikation enthalten. In dem Fall der Theorie Kaluzas wäre das die Feststellung: „Es gibt keine fünfte Dimension”. Hat Herr Hehl bereits den physikalischen Beweis erbracht, dass es die fünfte Dimension nicht gibt oder kennt er ein Experiment in der Art des Experiments von Michelson und Morley, das das zeigt? Dann sollte Herr Hehl es uns bitte wissen lassen.
5. Herr Hehl behauptet, das Buch enthalte „eine skizzenhafte Ideengeschichte des Vereinheitlichungsgedankens”. Vielen werden aber schon diese 132 Seiten mit Sicherheit keine bloße Skizze sein. [Sie umfassen die zwei Kapitel „Die Entwicklung des Vereinheitlichungsgedankens“ (S. 127–218) und „Das Sehnen nach Vereinheitlichung“ S. 339–378.] Ich freue mich aber, dass ich Herr Hehl mit dieser „Skizze“ so neugierig machen konnte, dass ich seine Wissbegierde noch nicht befriedigen konnte!
Daniela Wuensch
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