Die Welt der Physik aber gönnte nur Einstein den Ruhm. Schließlich sah man damals keine Notwendigkeit, die bekannten physikalischen Kräfte zu vereinheitlichen, wie es ironischerweise das höchste Ziel der heutigen Grundlagenphysik ist, zum Beispiel in der Stringtheorie. So gesehen wurde Hilbert zum Vater der modernen Physik der Vereinheitlichung.

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Dem großen Mathematiker kam dabei ein universeller Überblick über die weitreichenden Verästelungen seines Fachgebiets zugute. Zu jener Zeit galt Hilbert längst als einer der größten Mathematiker des Jahrhunderts. Mehrere Bereiche der Mathematik hatte er revolutioniert und auf neue Grundlagen gestellt: die Invariantentheorie 1888, die Zahlentheorie 1897 und die Geometrie 1899. In seinem legendären Pariser Vortrag des Jahres 1900, in dem er 23 ungelöste mathematische Probleme skizzierte, bestimmte Hilbert maßgeblich die Entwicklung der Mathematik der folgenden hundert Jahre.

Für die Gravitationsgleichungen verfolgte Hilbert, anders als Einstein, das Ziel, zwei Naturkräfte zu einer universellen Kraft zu vereinen. In Hilberts Lösung ist die Gravitation die fundamentale Kraft, aus der sich die elektromagnetische Kraft mathematisch ergibt. Hilberts physikalisches System setzte einen umfangreicheren mathematischen Rahmen voraus als Einsteins spezifischeres Ziel, nur eine Kraft, die Gravitation, zu enträtseln.

Hilberts Ansprüche reichten dabei noch weit über die Physik hinaus. Von einem unerschütterlichen erkenntnistheoretischen Optimismus geprägt, war er fest überzeugt, jede Frage ließe sich beantworten.

Ausgehend von strengen Axiomen (wie: durch zwei Punkte führt genau eine Gerade) meinte Hilbert, jeder wahre mathematische Satz lasse sich auch beweisen. Eine Annahme, die der österreichisch-amerikanische Mathematiker Kurt Gödel später widerlegen sollte. Gödel zufolge gibt es Sätze, die prinzipiell weder beweisbar noch widerlegbar sind, was er in seinem berühmt gewordenen Unvollständigkeitssatz zeigte.

Hilbert war vom weltoffenen, aufgeklärt liberalen Charakter seiner Heimatstadt Königsberg tief geprägt, wo er vor 150 Jahren am 23. Januar 1862 in einer protestantischen Juristenfamilie zur Welt gekommen war. Dort hatte er sich seine kantianischen Anschauungen angeeignet, die ihn prägten und ein Leben lang leiteten.

Probleme mit den Nazis

Genauso wie Hilbert jede Grenze der Erkenntnis ablehnte, lehnte er jede Form von Autoritarismus, Chauvinismus und Antisemitismus ab. Jedes vernunftbegabte Wesen betrachtete Hilbert als fähig, Mathematik zu betreiben, gleich welchen Glaubens, Geschlechts und welcher Herkunft.

Daher lehnte Hilbert auch die seinerzeit übliche Zurücksetzung der Frauen ab und kämpfte lange Jahre für das Frauenstudium und die Habilitation der genialen Emmy Noether. Der Pazifist Einstein empfand Hilbert während des Ersten Weltkriegs als einen seiner wenigen "echten Gesinnungsgenossen".

Hilberts erkenntnistheoretischer Optimismus übertrug sich auf seine ganze Umgebung. Zusammen mit Felix Klein vermochte Hilbert in knapp 40 Jahren in Göttingen ein "Mekka der Mathematik und Physik" zu errichten. Nur eins brach Hilberts Optimismus: das Aufkommen der Nazis, die er für Verbrecher hielt.

Der einmaligen Blüte der Wissenschaften aus dem Geiste Hilberts setzten sie ein jähes Ende: Hilberts Kollegen und teils auch Schüler Felix Bernstein, Max Born, Richard Courant, James Franck, Edmund Landau, Emmy Noether und viele andere wurden als "Nicht-Arier" oder "Demokraten" entlassen. Hilberts Nachfolger Hermann Weyl verließ Göttingen freiwillig.

Als Bernhard Rust, der NS-Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Hilbert bei einem Empfang 1935 fragte, ob das mathematische Leben in Göttingen gelitten habe, antwortete er: "Jelitten? Dat hat nich jelitten, Herr Minister, dat jibt es doch janich mehr."

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(SZ vom 21.01.2012/pak)