Von Klaus P. Sommer und Daniela Wuensch

Gleichungen für ein ganzes Jahrhundert: Vor 150 Jahren wurde der geniale Mathematiker David Hilbert geboren. Mit der Präsentation seiner Gravitationsgleichungen löste er ein Problem, an dem sich Albert Einstein vergeblich abgemüht hatte: die Weiterentwicklung der Speziellen zur Allgemeinen Relativitätstheorie.

Mit großer Spannung erwartete die Elite der Mathematiker und Physiker Göttingens den Nachmittag des 16. November 1915. David Hilbert hatte einen Vortrag angekündigt, in dem er der Göttinger Mathematischen Gesellschaft die Lösung des seinerzeit wichtigsten Problems der Physik vorzulegen versprach: die Gravitationsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie.

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David Hilbert David Hilbert (1862-1943), deutscher Mathematiker: kurzzeitig verärgert über Albert Einstein. (© SCHERL)

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An diesem gordischen Knoten hatte auch Albert Einstein zusammen mit seinem Mathematikerfreund Marcel Grossmann seit 1912 gearbeitet, bis dahin vergeblich.

Nach dem Erfolg der Speziellen Relativitätstheorie von 1905 hatte Einstein eine Verallgemeinerung gesucht, die das Phänomen der Schwerkraft einbezog. Von der Mathematik ausgehend hatte auch Hilbert sich einer physikalischen Frage gewidmet: Ihm ging es darum, die beiden damals bekannten Naturkräfte, des Elektromagnetismus und der Gravitation, zu vereinheitlichen.

Anders als Einstein, der sich stets von seiner physikalischen Intuition leiten ließ, war Hilbert überzeugt, allein die Mathematik biete die Mittel, die Physik auf neue Grundlagen zu stellen.

Mit der anmaßenden Aussage, "die Physik ist für die Physiker viel zu schwer", forderte Hilbert seine Kollegen heraus. In den Wochen vor seinem angekündigtem Vortrag versuchten die Göttinger Gelehrten sich in jenen Bereich der Mathematik einzuarbeiten, den Hilbert in den Jahren zuvor maßgeblich vorangebracht hatte: die Invariantentheorie.

Wie die große Mathematikerin Emmy Noether einem Freund berichtete, fühlten sich Hilberts namhafte Zuhörer, Felix Klein, Constantin Carathéodory, Carl Runge und andere, dem mathematischen Können Hilberts nicht gewachsen und stürzten sich wie Studenten mit Eifer auf die verfügbaren Lehrbücher.

Postkarte an Einstein

Zur Präsentation seiner Lösung der Gravitationsgleichungen hatte Hilbert am 13. November auch Einstein aus Berlin eingeladen. Der berühmte Physiker sagte jedoch ab, obwohl ihn Hilberts Lösung, wie er selbst betonte, "gewaltig" interessierte.

Er bat Hilbert, ihm seine Ergebnisse zu schicken, sorgte aber gleichzeitig diskret dafür, dass der Göttinger Assistent Walter Baade - später ein berühmter Astronom - ihm einen Auszug des Hilbert'schen Vortrags zukommen ließ. Baade sandte seine Aufzeichnungen an den Astronomen Erwin Freundlich, der in Berlin mit Einstein arbeitete.

Gleich nach seinem Vortrag schickte auch Hilbert eine Postkarte an Einstein, auf der er seine Gravitationsgleichungen darlegte. Am 20. November 1915 reichte Hilbert seine Arbeit mit dem wenig bescheidenen Titel "Die Grundlagen der Physik" bei der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ein.

Anstatt sich über Hilberts Lösung zu freuen, ärgerte sich Einstein: Nach jahrelangen vergeblichen Mühen hatte ein anderer sein Problem gelöst. Innerhalb von nur acht Tagen baute er Hilberts Gleichungen in seine Theorie ein und übergab am 25. November eine Abhandlung der Berliner Akademie.

Keine Erwähnung der enormen Leistung

Obwohl fünf Tage später eingereicht, wurde Einsteins Arbeit früher veröffentlicht. Sie verärgerte nun Hilbert, da Einstein es nicht für nötig gehalten hatte, seine enorme Leistung auch nur zu erwähnen. Wie der Streit zwischen den beiden Forschern genau ablief, ist nicht überliefert.

Doch bat Einstein am 20. Dezember Hilbert um Entschuldigung: "Es ist zwischen uns eine gewisse Verstimmung gewesen, deren Ursache ich nicht analysieren will. (. . .) Ich gedenke Ihrer wieder in ungetrübter Freundlichkeit, und bitte Sie, dasselbe bei mir zu versuchen. Es ist objektiv schade, wenn sich zwei wirkliche Kerle, die sich aus dieser schäbigen Welt etwas herausgearbeitet haben, nicht gegenseitig zur Freude gereichen."

Hilbert nahm Einsteins Entschuldigung an, bestand aber zeitlebens auf seiner Urheberschaft an den Gravitationsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie - verständlicherweise, denn es war einer der Höhepunkte seiner wissenschaftlichen Leistungen.

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